Text: Elisabeth Aufheimer, September 2018

Nachts fanden wir einen schwarzen Mond im Wald

„Nachts fanden wir einen schwarzen Mond im Wald“ ist über die im Zentrum hängende, aus schwarzem Drahtgeflecht zu bestehen scheinende Kugel geschrieben. Sie wird von zwei gelben, annähernd runden Objekten unterschiedlicher Größe vor diffusem Hintergrund eingefasst. Die Ränder dieser Objekte sind fließend, ausgefranst, die Farbe ist nach unten getropft. Es könnte sich um die Aneinanderreihung von riesigen Glasperlen handeln, um unterschiedliche Mondphasen oder auch um Teile von Gesichtern, offene schreiende Münder oder nässende Wunden.

Kirchmayr malt spontan, ohne Vorzeichnung. Viele überlagerte Farbschichten machen den zeitlichen Verlauf des malerischen Prozesses sichtbar. Wenn dieser bereits weit fortgeschritten ist, fließen oft Zitate und literarische Querverweise in seine Arbeiten ein – neben eigenen Gedanken fast ausschließlich Lyrik, wie W. H. Auden, W. Szymborska, R. Walser und immer wieder Georg Trakl: “Ein Sprachgigant, dunkel zwar und schwermütig, aber mich berühren seine Texte unglaublich stark“ (Jakob Kirchmayr).

 

Die Stille der Verstorbenen liebt den alten Garten,

Die Irre die in blauen Zimmern gewohnt,

Am Abend erscheint die stille Gestalt am Fenster

 

Sie aber ließ den vergilbten Vorhang herab –

Das Rinnen der Glasperlen erinnerte an unsere Kindheit,

Nachts fanden wir einen schwarzen Mond im Wald

 

In eines Spiegels Bläue tönt die sanfte Sonate

Lange Umarmungen

Gleitet ihr Lächeln über des Sterbenden Mund. (Georg Trakl)

 

Wenn Kirchmayr seine Gemälde be-schreibt, handelt es sich nicht um eine bloße Präzisierung oder Erweiterung der Bildsprache, sondern um die Einfügung einer Metaebene, in der neben persönlichen inneren Abläufen auch Gesellschaftliches und Politisches seinen Raum hat. Über die Lyrik Trakls wurde geschrieben, dass es in einer Welt ohne Sinn und Sicherheit gelte, zunächst im Gedicht Verhältnisse zu schaffen, unter denen es überhaupt erst möglich werde, zu reden. In einer sich immer rasanter wandelnden Welt ohne Sinn und Sicherheit malt Kirchmayr Bilder, die es ermöglichen, hinzuschauen und zu begreifen. Die Lyrik Trakls ist faszinierend, nicht leicht fassbar, vieldeutig, widersprüchlich und wandelbar. Dasselbe gilt uneingeschränkt für das Werk Jakob Kirchmayrs.