Ausstellungsbesprechnung: A Glimse of Memory and Time
"Malerei auf Papier, ebenso expressiv wie lyrisch. Malerei, die einen auf ganz besondere Weise berührt und uns die Ambivalenz unserer Gegenwart vor Augen führt – in der die Schönheit der Natur, ihre Zerstörung, Freundschaft und Krieg nebeneinander existiert."
Auf den ersten Blick sind Jakob Kirchmayrs Papierarbeiten kraftvolle Malerei. Landschaften, bestehend aus vielen Farbschichten, die mit großer Gestik auf das handgeschöpfte Papier aus Nepal aufgetragen werden. Dieses Papier, das ohne Bindemittel erzeugt wird, saugt die Farbe auf wie ein Schwamm und erzeugt die für Kirchmayrs Arbeiten so charakteristische, haptische Oberfläche. Es sind Bilder, die aus einem inneren Impuls heraus entstehen, ohne Skizze – und diese Vehemenz sieht man ihnen auch an. In den neuen Arbeiten entfernt sich Jakob Kirchmayr noch stärker vom Figurativen. Das Bild ist im eigentlichen Sinn ungegenständlich und bleibt dennoch offen für Assoziationen und lässt Landschaftliches stets noch anklingen – Schatten, Tiefen, zerklüftete Felsformationen. Doch liest man die Titel, eröffnen sich weitere Bedeutungsräume.
Es sind Erinnerungen – „A Glimpse of Memory and Time“, die aus der Vergangenheit aufblitzen, oft verbunden mit intensiven Emotionen, die Kirchmayr gekonnt in die Malerei zu transformieren versteht. Dabei scheint es, als würden die gestischen Setzungen sie gleich einem musikalischen Rhythmus im Bild entfalten – vom dynamischen Crescendo bis hin zu einem verhaltenen piano, die zuweilen eine intensive Spannung auf dem Papier entfalten. So als wolle der Künstler den Betrachter mit den Widersprüchen des Lebens bekannt machen.
Titel wie „Der Tag ist unendlich, er verliert sich in seiner Helle“, oder „Die Steine wechseln zu jeder Stunde ihre Farbe“, sind nicht nur Beschreibungen von landschaftlichen Beobachtungen, in ihnen schwingt Melancholie und Sehnsucht. Ein innerer Gemütszustand oder ein Ausdruck der Weltenlage im Sinne der Dichtung von Nikolaus Lenau „Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig“? Und ja, es ist in gewissen Sinn der Ausdruck von Wut und Ohnmacht, den Kirchmayr zum Ausdruck bringt.
Die Bilder sind zugleich auch Metapher und Projektionen, die man wie Angelika Seebacher schreibt: „geneigt ist auch als Porträt des kollektiven Gemütszustandes ihrer Zeit zu deuten. Über die Jahre beobachtete Kirchmayr wie die Natur zerstört wird. „Mit der Zeit zogen Schwermütigkeit, Traurigkeit und Wut über die globalen Missstände und Rücksichtslosigkeiten des Systems, in dem wir leben, bei ihm ein“, so Seebacher.
Inspiration für seiner Bilder findet Jakob Kirchmayr in der Beschäftigung mit Lyrik und Dichtung, insbesondere jener des griechischen Autors Jannis Ritsos. Ritso verband in seinen Gedichten politische Botschaften mit starken visuellen Bildern – Bilder die sich angesichts seiner Biografie, seiner Zeit in den Straflagern als vielschichtig erweisen bis hin zu den Gedichten, die er knapp vor seinem Tod im Wissen um den Abschied schrieb: „Die Umkehrbilder des Schweigens.“ Zeitlebens war Ritsos, der mit der kommunistischen Partei sympathisierte und wegen seiner politischen Überzeugungen mehrfach verhaftet wurde, eine humanistische Stimme und seine Gedichte eine Ode an die Freiheit.
Vieles in Ritsos' Texten, so Kirchmayr, lässt sich eins zu eins auf die Gegenwart mit ihren alltäglichen Menschenrechtsverletzungen übertragen, „seine an Sinnzusammenhängen reiche, bildhafte Sprache wirkt nicht selten wie ein schockierendes Déjà-vu.“ Texte, die sich im wahrsten Sinne in die Bilder einschreiben. In der Ausstellung bezieht sich Jakob Kirchmayr auf einen Brief von Ritsos, den dieser 1950 an seinem Bruder aus dem Straflager schrieb. Ritsos wurde 1948 mit Tausenden anderen festgenommen und auf die Verbannungsinseln deportiert: Mein lieber Joliot, ich schreibe dir aus Aji-Strati./ Wir sind hier etwa zu dreitausend,/ einfache Menschen, arbeitsam und gelehrig,/ eine löcherige Decke um die Schultern,/ mit einer Zwiebel, fünf Oliven und einem trockenen Krumen Brot in unserem Beutel,/ einfache Menschen wie die Bäume in der Sonne, / Menschen, die weiter nichts verbrochen haben / als wie du zu lieben/ die Freiheit und den Frieden....“