Kölnische Rundschau, 5. März 2025, Text: Ingo Schmitz

Auf Tuchfühlung

Die Passionszeit beginnt: Österreichischer Künstler zeigt außergewöhnliches Fastentuch in St. Gereon

Am Aschermittwoch ist alles vorbei? Nicht wenn es um Kunstgenuss geht. Zum Start der Fastenzeit wird in St. Gereon ein Werk gezeigt, das in Ausmaß und Ausarbeitung einiges in den Schatten stellt.

Durch den Dreck gezogen, ins Wasser geschmissen, vom Feuer gebrandmarkt. Dieses Tuch ist gezeichnet. Gezeichnet vom Leben. Und dennoch soll es Hoffnung geben. Mit seinen Löchern, durch die das Licht einfällt, mit seinen Nahtstellen, die es trotz allem zusammenhalten. Und vor allem: Mit dem, was es verbirgt. Als der österreichische Künstler Jakob Kirchmayr vor über einem Jahr den Auftrag bekam, für die Wiener Michaelerkirche ein Fastentuch zu erschaffen, fühlte er sich wohl ein bisschen wie Mose vor dem Berg. Für diese Aufgabe musste er Gewohntes hinter sich lassen, sich auf Neuland begeben. Alleine schon die Größe: zwölf Meter in der Höhe, sechs in der Breite. Ein Werk, dass für Aufsehen sorgte, aufhorchen ließ. Auch der Leitende Pfarrer der Kölner Innenstadtgemeinden, Dominik Meiering, horchte auf, als er davon erfuhr. »Ich habe Jakob Kirchmayr gefragt, ob wir sein Fastentuch auch in Köln zeigen können. Er hat sofort zugesagt», berichtet er.

Am Veilchendienstag ist der österreichische Künstler mit seinem Werk in der Domstadt angekommen. In St. Geron verhüllt es nun den Hochaltar. Den ganzen Tag hat es gebraucht, es aufzuhängen. Das Kunstwerk wird nun in einem Gottesdienst zum Aschermittwoch um 18 Uhr erstmals in Köln zu sehen sein, der damit auch Vernissage ist.

Fünfach größer als bisherige Werke

Das Fastentuch für die Michaelerkirche übersteigt das bis dahin größte Format, das der Künstler schuf, um nicht weniger als das Fünffache. Mit Papier, sein bevorzugter Werkstoff, war das nicht mehr zu leisten. Das Fastentuch wäre an seinem eigenen Gewicht zerrissen. „Und so entschloss ich mich, gänzlich auf die mir vertrauten Materialien zu verzichten. Ich war auf der Suche nach einem Medium, das mir ermöglichte, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen", berichtet Jakob Kirchmayr vom Schaffensprozess. Seine Gefühle waren vorrangig von den Krisen der Welt geprägt, allen voran die Klimakrise. Bei einem Fastentuch naheliegend: Kirchmayr verlegte sich auf Baumwollstoffe. „Etwa 140 Quadratmeter Baumwollstoff wurden für dieses Werk zerteilt", berichtet er in einer Ausführung zu dem Werk. Doch mit dem Stoff alleine sollte es nicht getan sein. Die 140 Quadratmeter am Stück wurden nicht nur zerteilt, sondern noch »mit Asche, Erde und Kohle bearbeitet, geräuchert, dem Feuer, wie dem Regen ausgesetzt, die Fragmente schließlich wieder zusammengenäht, gerafft und geknittert - so entstand ein Bildwerk, mit skulpturalem Charakter".

Ein Fastentuch als Bildwerk, das Meiering fasziniert: »Da hängen 1000 Themen dran" ruft er begeistert aus. »Der Umgang mit der Schöpfung. Die Vergänglichkeit des Seins. Was ist in unserem Leben nicht schon alles verbrannt?", zählt er nur einige wenige, große Themen auf, die sich an diesem Tuch festmachen lassen. Und Meiering wäre nicht Pfarrer, wenn es ihm nicht gerade bei diesem Fastentuch auch darum ginge, was es traditionell (siehe Infotext) verhüllt, beziehungsweise verstellt: ,Den Blick auf das Kreuz. Das Thema Verhüllen war bei dem Werk von Jakob Kirchmayr sozusagen der „Ankerpunkt" für Meiering.
Es ist nämlich sein kunsthistorisches Leib- und Magenthema. Meiering schrieb seine Doktorarbeit über den „Verhüllten Reichstag von Christo und Jeanne-Claude und seine Parallelen in der Tradition der Kirche". Ein Abschnitt in der Doktorarbeit ist auch der Tradition der Fastentücher gewidmet. Dem Theologen geht es dabei im Kern natürlich immer um den verborgenen Gott, der sich enthüllt. Ein etwas lebensfernes Thema, dem modernen Mensch schwer zu vermitteln? Das sieht Meiering ganz anders: „Wir kennen das doch aus dem Alltag. Die besonders kostbaren und bedeutungsschwangeren Geschenke wie Parfüm oder Juwelen werden mit einer aufwendigen Verpackung verhüllt. Und unsere Kleidung, unsere Wohnung unsere Autos sind Hüllen, die manchmal mehr von uns erzählen, als wir preisgeben wollen", weiß der Geistliche.

St. Gereon als perfekter Ort

Dass das Fastentuch von Jakob Kirchmayr nach St. Gereon gehört, dass hat sich für Meiering nicht nur durch den Hochaltar ergeben. Der kunstbeflissene Pfarrer hatte noch einen weiteren Aspekt dabei im Hinterkopf. Die Farbgestaltung in der romanischen Kirche. „Der Sandstein in St. Geron ist eisenhaltig. Es kommt zur Oxidation, berichtet der Innenstadtpfarrer. Die Rottöne, die Brauntöne des Steins korrespondieren mit den Spuren des Wassers, der Erde und des Feuers auf dem Baumwolltuch, Das Fastentuch von Jakob Kirchmayr mag für manche Betrachter für sich sprechen, aber Meiering will es für alle anderen in ein reichhaltiges Rahmenprogramm unter anderem mit Fastenpredigten, Kreuzwegandachten und Vorträgen einbetten.

Verhüllter Altar

Das Fastentuch, im Mittelalter auch Hungertuch oder Schmachtlappen genannt, ist ein Vorhang, der während der Fastenzeit aufgehängt wurde, um den Hochaltar zu verhüllen. Die großen textilen Behänge aus Leinen oder Seide waren ursprünglich wohl unbebildert und einfarbig, später wurden sie auch bedruckt, bemalt oder mit Stickereien geschmückt. Seit dem Ende des 10. Jahrhunderts sind die zumeist mehrere Quadratmeter großen Fastentücher in ganz Europa bis heute bezeugt. Die an Stangen aufgehängten Fastentücher verhüllten den Altar zumeist während der ganzen Fastenzeit.

Aus "Verhüllen und Offenbaren"
Dominik Meiering